Ein Unternehmer betreibt ein Zwischenlager für gefährliche Abfälle. Dort werden gefährliche Abfälle einer Eingangskontrolle unterzogen, sortiert und je nach Abfallart in verschiedenen Bereichen der Behandlungsanlage zwischengelagert. Die Kapazität der Zwischenlagerung der einzelnen Abfallarten unterschreitet den Schwellenwert des Anhang 5, Teil 1, Z 5 von 50 t. Die Gesamtkapazität aller zwischengelagerten Abfallarten überschreitet diesen Wert. Die abschließende Behandlung der Abfälle erfolgt nicht in dieser Behandlungsanlage.
Bezüglich der Anwendung der IPPC- Bestimmungen argumentieren der Unternehmer und das Landesverwaltungsgericht, dass aufgrund der räumlichen Trennung jeweils einzelne IPPC-Anlagen vorliegen würden, bei welchen der Schwellenwert jeweils nicht überschritten würde. Auch die „Additionsregel“ nach Anhang 5 Teil 1 vorletzter Absatz AWG 2002 sei nicht anzuwenden, da diese nach deren klaren Wortlaut nicht auf die Tätigkeit der Zwischenlagerung abstelle.
Im Zuge einer Amtsrevision hat der VwGH zu Ro 2022/07/0008 dieser Argumentation eine Absage erteilt und die Anwendbarkeit der IPPC- Bestimmungen bejaht.
Der VwGH weist dabei unter Hinweis auf die Industrieemissionen-Richtlinie darauf hin, dass für das Vorliegen einer IPPC-Behandlungsanlage nach § 2 Abs. 7 Z 3 AWG 2002 (bzw. einer IPPC-Anlage nach § 71b Z 1 GewO 1994) ein eigener – von dem Begriff der gewerblichen Betriebsanlage nach der GewO 1994 und dem der Betriebsanlage nach § 2 Abs. 7 Z 1 AWG 2002 zu unterscheidender – unionsrechtlich geprägter Anlagenbegriff vorliegt.
In diesem Sinn ist eine IPPC-Betriebsanlage nach den Ausführungen des VwGH ein Gesamtgebilde („eine technische Einheit“), das alle an einem Standort vorhandenen Einrichtungen – Bauwerke, Maschinen, Werkzeuge usw. – umfasst, in denen die Durchführung der IPPC-Tätigkeit erfolgt. Der nach § 2 Abs. 7 Z 1 AWG 2002 anzulegende technische Anlagenbegriff (zB VwGH 21.12.2023, Ra 2022/07/0056) ist somit bei Beurteilung, ob eine oder mehrere IPPC-Behandlungsanlagen vorliegen, nicht maßgeblich.
Auch weist der VwGH darauf hin, dass eine Umgehung von Kapazitätsschwellen durch die Aufteilung einer Anlage in mehrere Teile („Salami-Taktik“) dem Zweck des Regimes der IPPC-Anlagen widerspricht und daher hintanzuhalten ist (vgl. VwGH 25.1.2023, Ro 2022/06/0015),
Maßgebliche IPPC-Tätigkeit ist im vorliegenden Fall die in Z 5 des Anhangs 5 Teil 1 AWG 2002 genannte zeitweilige Lagerung von gefährlichen Abfällen mit einer Gesamtkapazität von über 50 t.
Bei der Zwischenlagerung von Abfällen ist es nach den Ausführungen des VwGH aufgrund des Vermischungsverbots des § 15 Abs 2 AWG 2002 zwangsläufig erforderlich, dass für verschiedene Abfallarten räumlich getrennte Zwischenlager vorhanden sind. Die Schaffung abgetrennter Bereiche für die unterschiedlichen Abfälle kann in diesem Sinn somit nichts daran ändern, dass dennoch nur eine (einheitliche) IPPC-Tätigkeit, nämlich die Zwischenlagerung nach Z 5 des Anhangs 5 Teil 1 AWG 2002, durchgeführt wird.
Da demzufolge nur ein einziges Zwischenlager vorliegt und die Schwelle des Z 5 des Anhangs 5 Teil 1 AWG 2002 von 50 t überschritten wird, liegt eine IPPC-Tätigkeit vor.
Zur „Additionsregel“ des vorletzten Absatz des Anhangs 5 Teil 1 AWG 2002 führt der VwGH aus, dass diese Bestimmung – ebenso wie der zweite Satz des Anhangs I IE-RL – von vornherein nur die Verrichtung „mehrerer“ in einer Tätigkeitsbeschreibung genannter Tätigkeiten betrifft. Wird dagegen in ein und derselben Anlage bloß eine (einzige) der in den „Tätigkeitsbeschreibungen“ nach Anhang 5 Teil 1 AWG 2002 (Anhang 1 IE-RL) genannten Tätigkeiten ausgeführt, stellt sich die Frage der Zusammenrechnung der Kapazitäten verschiedener Tätigkeiten nicht, sondern ist der für diese Tätigkeit genannte Schwellenwert maßgeblich.
Zusammengefasst stellt sohin das räumlich nach Abfallarten getrennte Zwischenlagern von gefährlichen Abfällen in einer Betriebsanlage eine einzige Tätigkeit iSd Anhang 5 AWG 2002 dar und sind die für diese Tätigkeit in Anhang 5 genannten Schwellenwerte zu beachten.