Nunmehr findet die bahnbrechende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Porr (17.11.2022, C-238/21) auch Eingang in die Rechtsprechung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs.
Im Ausgangsfall wurde Bodenaushubmaterial für die Errichtung eines Hochwasserrückhaltebeckens mehr als drei Jahre zwischengelagert. Würde es sich beim zwischengelagerten Bodenaushub um Abfall iSd § 2 Abs. 1 bis 3 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002) handeln, würde prinzipiell gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b Altlastensanierungsgesetz (ALSAG) für das mehr als einjährige Lagern von Abfällen zur Beseitigung oder das mehr als dreijährige Lagern von Abfällen zur Verwertung ein Altlastenbeitrag fällig werden.
Das Verwaltungsgericht nahm Entledigungsabsicht der Bauherren, von deren Baustellen der Bodenaushub stammte, somit die Abfalleigenschaft des Bodenaushubs, an.
Der VwGH zitiert im gegenständlichen Erkenntnis seine ständige Rechtsprechung zur Entledigungsabsicht bezüglich Bodenaushub von Baustellen dahingehend, dass üblicherweise mit dem Fortschaffen des Bodenaushubs von der Baustelle eine Entledigungsabsicht verbunden ist(vgl. VwGH 25.2.2009, 2008/07/0182).
Nunmehr weist der VwGH aber darauf hin, dass zu beachten ist, dass die Bestimmungen des AWG 2002 der Umsetzung von Unionsrecht, konkret der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle (vgl. § 89 AWG 2002), dienen. Diese Bestimmungen sind nunmehr auch nach Ansicht des VwGH – soweit methodisch möglich – richtlinienkonform und im Sinne der Rechtsprechung des EuGH auszulegen. Die Frage, ob es sich um „Abfall“ handelt, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen. Dabei ist die Zielsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird.
In der Folge zitiert der VwGH die Entscheidung des EuGH und führt aus, dass unter den Begriff Abfall auch Stoffe und Gegenstände fallen, die zur wirtschaftlichen Wiederverwendung geeignet sind oder die einen Handelswert haben (aaO Rn. 37). Besonderes Augenmerk ist auf den Umstand zu legen, dass der fragliche Stoff oder Gegenstand für seinen Besitzer keinen Nutzen (mehr) besitzt, sodass der Stoff oder Gegenstand eine Last darstellt, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht (aaO Rn. 38). Dabei ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung eines Stoffes oder Gegenstands ohne vorherige Verarbeitung ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob es sich um Abfall handelt. Ist die Wiederverwendung des Stoffes oder Gegenstands nicht nur möglich, sondern darüber hinaus für den Besitzer wirtschaftlich vorteilhaft, so ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Wiederverwendung hoch. In diesem Fall kann der betreffende Stoff oder Gegenstand nicht mehr als Last betrachtet werden, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht, sondern hat als echtes Erzeugnis zu gelten (aaO Rn. 39).
Damit vollführt der VwGH eine bemerkenswerte Kehrtwendung in seiner bis dahin strikten Rechtsprechung zu Entledigungsabsicht und Abfalleigenschaft.
Es wird spannend, inwieweit die Rechtsprechung des EuGH auch auf andere Bereiche auswirken wird.