Mit Spannung wurde die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C 238/21, Porr, erwartet, die nunmehr am 17.11.2022 veröffentlicht wurde. Nach den Schlussanträgen der Generalanwältin Medina in dieser Angelegenheit und der bereits zuvor ergangenen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-629/19, Sappi, wurde mehrheitlich mit einer richtungsweisenden Entscheidung gerechnet.
Zur Rechtslage:
Nach der österreichischen Rechtslage verliert Abfall, zu dem in der Regel auch Bodenaushub zählt, seine Abfalleigenschaft erst, wenn er unmittelbar zur Substitution entsprechender Rohstoffe verwendet wird. Bei Bodenaushub endet die Abfalleigenschaft demzufolge mit dem (rechtmäßigen) Einbau, zB im Rahmen einer landwirtschaftlichen Rekultivierung.
Nach den Bestimmungen des Art 6 Abs 1 der Europäischen Abfallrahmenrichtline endet die Abfalleigenschaft hingegen, wenn Abfall ein Verwertungsverfahren durchlaufen hat und
a) der Stoff oder Gegenstand für bestimmte Zwecke verwendet werden soll;
b) ein Markt für diesen Stoff oder Gegenstand oder eine Nachfrage danach besteht;
c) der Stoff oder Gegenstand die technischen Anforderungen für die bestimmten Zwecke einhält und den bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse genügt und
d) die Verwendung des Stoffs oder Gegenstands insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen führt.
Der Anlassfall:
Mehrere Landwirte wandten sich an Porr Bau, um von ihr Aushubmaterial für eine Bodenrekultivierung bzw. Verbesserung der landwirtschaftlichen Ertragsflächen zu erhalten. Zum damaligen Zeitpunkt war noch nicht gewiss, ob dieses Unternehmen in der Lage sein würde, ihrem Ersuchen nachzukommen. In der Folge wählte Porr Bau ein geeignetes Bauvorhaben aus und entnahm dort das Aushubmaterial. Sodann lieferte sie das gewünschte Material, nämlich unkontaminiertes Aushubmaterial der Qualitätsklasse A1 nach Bundesabfallwirtschaftsplan. Der Einsatz derartigen Materials ist für Geländeanpassungen geeignet und rechtlich zulässig.
Die österreichische Behörde steht am Standpunkt, es handle sich bei diesem Material um Abfall, die Abfalleigenschaft ende erst mit dem Einbau des Materials.
Die Entscheidung:
Der EuGH führt zum Begriff „Verwertungsverfahren“ des Art 6 Abs 1 der Abfallrahmenrichtlinie aus, dass darunter auch eine Prüfung zu verstehen ist, die darauf abzielt, die Qualität und die Präsenz von Schadstoffen oder Verunreinigungen in Aushubmaterial zu ermitteln. Folglich kann bei Abfällen, die einer solchen Qualitätsprüfung unterzogen wurden, angenommen werden, dass sie ein Verwertungsverfahren im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie durchlaufen haben, wenn ihre Wiederverwendung keine weitere Vorbehandlung erfordert.
Der EuGH führt aus, dass als Ziele der Abfallrahmenrichtlinie auch die Verringerung von Abfällen, der Schutz der natürlichen Ressourcen und die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft definiert sind.
Es wäre nach Ansicht des EuGH eine Verkennung der Ziele der Abfallrichtlinie zu befürchten, wenn trotz Einhaltung der spezifischen Kriterien, die gemäß den in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Bedingungen festgelegt wurden, bei unkontaminiertem Aushubmaterial der höchsten Qualitätsklasse, dessen Eigenschaften zur Verbesserung landwirtschaftlicher Strukturen dienen können, nach einer Qualitätskontrolle, mit der sich die Unbedenklichkeit seiner Verwendung für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit sicherstellen lässt, das Ende der Abfalleigenschaft verneint würde.
Aus diesen Erwägungen folgert der EuGH, dass, falls das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Aushubmaterial einem Verwertungsverfahren unterzogen wurde, worunter auch die genannte Qualitätsprüfung zu verstehen ist, und alle spezifischen Kriterien erfüllt, die gemäß den in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis d der Abfallrichtlinie genannten Bedingungen festgelegt wurden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, davon auszugehen wäre, dass die Abfalleigenschaft dieses Materials geendet hat.
Fazit:
Das österreichische Abfallwirtschaftsrecht orientiert sich am Richtlinien-Ziel des Schutzes der Umwelt und der Gesundheit. Demzufolge steht das österreichische Abfallwirtschaftsrecht unter dem Motto „Im Zweifel Abfall“. Diese einseitige Betrachtungsweise ist unter den geänderten Rahmenbedingungen, hier seien vor allem Klimakrise, Energiekrise, Ressourcenknappheit genannt, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es gelangen aufgrund der genannten Umstände nunmehr vermehrt die Richtlinien-Ziele der Vermeidung von Abfall, der Förderung der Verwertung von Abfällen und der Verwendung verwerteter Materialien zur Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen und zur Schaffung einer Recycling-Wirtschaft, in den Fokus. Diesen Zielen trägt das österreichische Abfallwirtschaftsrecht (noch) zu wenig Rechnung.
Die vorliegende Entscheidung hat Auswirkungen weit über die Behandlung von Bodenaushub hinaus. Überall dort, wo Abfälle einem „Verwertungsverfahren“ unterzogen werden und die oben genannten Kriterien vorliegen, tritt Abfallende ein. Es ist also davon auszugehen, dass auch qualitätsgeprüfte Recycling-Baustoffe bereits mit der Herstellung Produktstatus erreichen, genauso wie biogene Abfälle oder Holzabfälle, die einer Qualitätsprüfung unterzogen werden. Die Liste dürfte sich verlängern.
Nicht unerwähnt bleiben sollte auch der Umstand, dass ab dem Zeitpunkt des Endes der Abfalleigenschaft auch keine Verpflichtung zur Bezahlung von Beiträgen nach dem Altlastensanierungsgesetz mehr entstehen kann. Gerade im Bereich der Behandlung von Bodenaushub dürfte dies für Erleichterung sorgen.
Nachsatz:
Der EuGH trifft in der gegenständlichen Entscheidung auch erwähnenswerte Ausführungen zur Frage des Vorliegens eines Nebenprodukts. Dazu mehr in einem folgenden Beitrag.